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seine große Geschichte der Anarchie, sind wahrlich keine populärwissenschaftlich geschriebenen historischen Darstellungen. Zu sehr dominieren in ihnen die historischen Details, wodurch bei der Lektüre sehr leicht der größere historische Zusammenhang verloren geht. Erschwert wird die Lektüre seiner historischen Werke auch durch Nettlaus Faible für bibliografische Daten, und in der Tat ähnelt die Geschichte der Anarchie bisweilen eher einer kommentierten Bibliografie als einer herkömmlichen historischen Darstellung.
In der Fachwelt hingegen fand Nettlaus Geschichte der Anarchie durchaus lobende Anerkennung. So schrieb beispielsweise der Historiker Gustav Mayer, der sich in seiner eigenen historischen Forschung mit Ferdinand Lassalle und Friedrich Engels beschäftigte, in seiner Rezension für die Frankfurter Zeitung:
„Wenn es ihm auch nur streckenweise gelingt, dem Leser einen geistesgeschichtlich eingebetteten Zeitverlauf vorzuführen, so stellt doch schon das, was er mit stupender Fachkenntnis aus Tausenden von zerstreuten und alten Zeitungen, Revuen und Broschüren zutage förderte, eine gewaltige Bereicherung des Quellenmaterials dar und macht das Buch zu einer Fundgrube für jeden Forscher, der die Epoche zwischen der großen englischen und der großen russischen Revolution behandelt und die Strömungen im Auge behält, die dem Freiheitsbegriff im Sinne absoluter Forderungen huldigen.“ 63
Und der Historiker, Publizist und Pazifist Kurt Kersten zollte Nettlau und seinem Werk in der Berliner Welt wie folgt Anerkennung:
„Heute ist wohl kaum jemand anders als Nettlau berufen, eine solche Geschichte zu schreiben. Er besitzt die gründlichsten Kenntnisse, er ist ein geduldiger, eifriger Forscher, er kennt die Archive, er steht selbst in der anarchistischen Bewegung und hat Beziehungen zu Gesinnungsgefährten in allen Ländern, und so ergibt sich notwendig, dass Nettlaus Buch ein ausgezeichnetes Nachschlagebuch geworden ist. Man findet eine unglaubliche Fülle neuer Namen und Titel, man erhält Aufschluss über unbekannte Schicksale von Anarchisten, man weiß nicht, woher sie kamen, man weiß nicht, wohin sie gingen.“ 64
Nettlaus Leistung als Historiker ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass ihm über all die Jahre seiner Forschung hinweg stets nur ein Teil seiner Sammlung zur Verfügung stand. Dementsprechend findet sich in allen Bänden seiner Geschichte der Anarchie immer wieder der Hinweis, dass er bestimmte Quellen nicht konsultieren konnte und deshalb auf seine Erinnerung oder auf Vermutungen angewiesen ist.
63._Zit. n. Rocker: Max Nettlau (wie Anm. 8), S. 62 (ohne Datumsangabe).
64._Zit. n. ebd., S. 63 (ohne Datumsangabe).
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