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modernen Vorgängen abstrahierte materialistische Geschichtsauffassung kann so gut wie unbekannte Zeiten, deren geistige und materielle Faktoren uns nur zu geringen Teilen bekannt sind, nicht aufhellen.“ 54
Zweifellos ist Nettlaus Geschichte der Anarchie immer noch die detaillierteste und umfangreichste ideen- und später auch organisationsgeschichtliche Darstellung radikal-freiheitlicher Ideen und Bestrebungen, die sich dem Anarchismus zuordnen lassen. Dies gilt insbesondere für die Früh- und Entstehungsgeschichte sowie für die Geschichte des internationalen organisierten Anarchismus bis in die 1930er Jahre. Nettlau selbst hat seine Geschichte der Anarchie eher bescheiden als einen historiografischen Rohbau verstanden, von dem er hoffte, dass das Werk später mit Hilfe seiner Leserinnen und Leser vervollständigt und vertieft werden könnte. So schreibt er zum Schluss des ersten Bandes:
„Die vorausgehenden Kapitel sind wenig mehr als ein Rahmen und sind einer großen Ausgestaltung fähig, sowohl durch Spezialstudien über jedes der zahlreichen Gebiete, wie durch Erschließung neuen freiheitlichen Grundes durch Durchforschung der vielen mir unbekannten Teile der Geschichte und der Literaturen.“ 55
Und in einer Fußnote dazu präzisierte er seine Hoffnung auf eine Unterstützung seiner Arbeit durch die Leser und Leserinnen seines Werkes wie folgt:
„(. . .) Der Vorfrühling der Anarchie, bis 1864, wie er hier vorgeführt wird, würde durch einige wirkliche internationale Bibliotheksarbeit leicht eine wesentliche Ergänzung und Vertiefung erfahren, und ein Buch von 500 Seiten statt diesem Buch von 200 Seiten würde dann dem umfangreichen Gegenstand einigermaßen gerecht werden; dann erst würden weitere Untersuchungen das bekannte Gebiet wahrscheinlich noch wesentlich erweitern können. Mögen andere diese mir versagten Forschungen machen und die Vorgeschichte der Anarchie der Vergessenheit wirklich entreißen, was hier nur angebahnt werden konnte.
Ein folgender Band soll die Entwicklung bis 1880 etwas eingehender und seit 1880 in den gröbsten Umrissen enthalten, vielleicht mit einem Ausblick auf die Zukunft. — Hier könnten Nachträge und Verbesserungen zum vorliegenden Band mitgeteilt werden, wenn mir solche, wie überhaupt theoretisches
Élie Reclus (der Bruder von Élisée Reclus) – mit den „primitiven“ anarchischen Völkern beschäftigt und die dabei gewonnenen Erkenntnisse in ihrem anarchistischen Geschichtsverständnis mit berücksichtigt haben.
54._Max Nettlau: Geschichte der Anarchie, Bd. 1: Der Vorfrühling, der Anarchie, Berlin: Verlag „Der Syndikalist“, 1925, S. 9, Anm. 1. (im vorliegenden Buch auf S. 77)
55._Ebd., S. 233 (hier im Buch S. 302).
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